155
REPORTAGE
STIL À LA
FRANÇAISE
»Wenn wir über den Komfort
eines Möbels sprechen, dann
sprechen wir auch über seinen
visuellen Komfort«, erklärt Michel
Roset oft, der bei Ligne Roset als
Geschäftsführer für Gestaltung
und Design verantwortlich ist. Das
Streben nach Komfort, der das
Fundament für das Renommee
des Unternehmens gelegt hat,
geht einher mit der beharrli-
chen Suche nach ästhetischer
Perfektion. »Ich mag die Idee,
dass Design einen Sinn haben
und eine Rolle in der Gesellschaft
spielen soll«, präzisiert er. »Diese
Überzeugung hat seit den
1960er Jahren zur Gründung
von mehreren wagemutigen
Designergruppen geführt, wie z.B.
Memphis. Diese Fragestellungen
zur Rolle der Ästhetik fließen ein in
unseren kreativen Prozess.«
Der ambitionierte Denkansatz
hat im Ergebnis zu Möbelstücken
geführt, die in Museen als
Exponate geehrt wurden.
Die modular aufgebaute
Sitzlandschaft
Asmara
aus der
Feder von
Bernard Govin
(1966) und das Sofa
Ploum
von
Ronan
und
Erwan Bouroullec
(2011) können beispielsweise in
den Ausstellungen des Musée
des Arts Décoratifs in Paris
bewundert werden. In den 70er
Jahren hatte der junge Werber
Jacques Séguéla folgenden
vorausschauenden Slogan für
Ligne Roset erfunden: »Dessiné
pour durer plus que la mode«
(in etwa: Design, das die Mode
überdauert). Nicht nur die Möbel
»Made in Bugey«- der Name der
Region, wo sich der Hauptsitz
und die Produktionsstätten des
Unternehmens befinden – sind
dafür gemacht, Jahrzehnte zu
überdauern, auch ihr Design zielt
weiter als die aktuellen Trends
des Interior Design. Die Marke
hat Mut zum Risiko, was sie mit
verwegenen Kreationen wie dem
asymmetrischen Sofa
Confluences
von
Philippe Nigro
oder der ei-
nem Autoscheinwerfer nachemp-
fundendenTischleuchte
Car Light
von
Nathalie Dewez
unter Beweis
stellt. Aber sie beherrscht auch
meisterlich die klassische franzö-
sische Einrichtungskunst, die sie
gerne entstaubt. Seit mehr als 20
Jahren entwirft der Innenarchitekt
Didier Gomez
Möbel für Ligne
Roset. Seine Kreationen zeichnen
sich durch ihre bewusst schlichte
und schnörkellose Eleganz aus, die
sich ohne die geringste Dissonanz
in Einrichtungsstile wie Art Déco
oder Louis XVI einfügt. Dieses
Jahr stellte der Designer
Eric
Jourdan
mit seinem Sitzmöbel
Riga
eine äußerst zeitgemäße
Neuinterpretation des klassi-
schen Ohrensessels vor. Eben
eine solche Neuauflage des
kulturellen Erbes Frankreichs in
Kombination mit formaler und
technischer Innovation hat auch
Mitte der 2000er Jahre Ligne
Roset und den Designer
Pierre
Paulin
zusammengebracht.
Der durch die Einrichtung der
Privaträume von Präsident
Pompidou 1971 im Élysée-Palast
zu Weltruhm gelangte Künstler
beherrschte die Geschichte
der Einrichtungskunst aus dem
Effeff. Und er begeisterte sich für
Maschinen und Materialien. Der
von Schaumstoffpolsterungen
und elastischen Bezugsstoffen
geradezu Besessene konnte nicht
anders als begeistert sein von den
Werkstätten in Briord. Hier hat er
seine Kreationen für das Ehepaar
Pompidou überarbeitet und
daraus die Modelle
Pumpkin
und
Élysée
entwickelt sowie den Sessel
Anda
(2008) entworfen: eine
Neuinterpretation seines mitt-
lerweile zu Kultstatus gelangten
Models
Mushroom
aus dem Jahre
1959. Seit seinem Tod im Jahr
2009 ist
Pierre Paulin
offiziell zu
einem Denkmal der französischen
Einrichtungskunst geworden. 2016
wurde ihm eine Retrospektive
im Centre Pompidou gewidmet.
Auf dem Kunstmarkt reißen
sich die Käufer um seine Werke.
Ligne Roset legt in Abstimmung
mit der Familie von Pierre
Paulin einige Modelle neu oder
wieder auf, wie den Stuhl
TV,
das berühmte
Daybed
aus dem
Jahr 1953 oder auch den Stuhl
Curule
aus den 1980er Jahren
in Buche oder Eiche massiv, der
der Liebe des Designers zum
traditionellen Tischlerhandwerk
Ausdruck verleiht. Das Ehepaar
Pompidou entschied sich für ihn,
da er ihrem Credo »Wandel in der
Kontinuität« Leben einhauchte.
Seine historische Arbeit im Élysée
stellt die perfekte Harmonie
zwischen traditioneller französi-
scher Einrichtungskultur sowie
ästhetischer und industrieller
Innovation dar. Ligne Roset, heute
der einzige große Hersteller von
Designmöbeln in Frankreich, führt
dieses Ideal fort.